Ja, ich weiß, es ist jetzt so weit: Ich bin 30.
Zu diesem Anlass, man möge es mir nachsehen, habe ich beschlossen, dass ich der Herrscher der Zensur auf meinem Facebookprofil bin und Einträge von anderen auf meiner Pinnwand sperre. Seit der Timeline kann dann auch in 10 Jahren, sagen wir zum zwanzigjährigen Abitreffen, Max Mustermann Beate Bauer kontrollieren, ob sie daran dachte – sofern es dann noch Facebook gibt. Ob Beate Bauer das möchte? Ich nicht, und dieses nachträgliche Löschen, was ich zahlreiche Jahre zuvor mit unzähligen Beiträgen tat, ist mir zu anstrengend geworden, mit 30 darf man auch pragmatisch denken!
Und ich müsste mich immer, wenn ich mein Profil durchstöbere, ärgern, dass von meinen satt 300 Freunden 100 an mich denken (ja, fein, toll, wir freuen uns), die vermutlich meinen kompletten Vor- und Zunamen bereits vergessen haben, meine Anschrift nie besaßen und meine Emailadresse nicht mehr „wiederfinden“. Hmm. Lange habe ich überlegt, ob ich die Freundesliste radikal aufräume, aber meine Neugier verbietet es mir. Wer weiss, ob ich nicht einmal etwas lesen möchte, und sei es nur ein Unterhaltungswert. Egoismus siegt.
Tut mir also leid, liebe Gelegenheitsfreunde, aber ich denke, wir können uns die unnötige Höflichkeit sparen, sonst käme ich, ganz wie in alten Tagen („Wenn Du auf den Geburtstag von Beate Bauer gehst, musst Du sie aber auch einladen!!“), in die Verlegenheit Euch auch höflich zu gratulieren. Da man eigentlich zum eigenen Geborenwerden wenig beigetragen hat, könnte man eher Müttern gratulieren, wenn man denn wollte und einen Mehrwert des Geborerenen für die Menschheit erkennt; jenes wage ich zu bezweifeln, denn wer meinen Namen vergass, vergass bestimmt auch, warum ich in seiner/ihrer Liste bin. An mich darf man von mir aus denken, ich hab schließlich Geburtstag, da ist etwas Eitelkeit und Selbstverliebtheit legitim. Da ich zudem noch 30 werde, kann ich sogar rührselig oder schnippisch werden, wenn ich das möchte. Es ist also völlig ok, wenn Menschen (also eigentlich am liebsten die, die meinen Namen kennen) sich mit mir und über mich freuen, Zeit mit mir verbringen möchten oder einfach nur wissen, dass der Sekt kalt steht. Auf ewig festgeschrieben und jährlich wiederholt möchte ich das aber nicht lesen. Ich wette, dass ich in manchen Profilen zufällig jedes Jahr die gleiche Wendung benutze, bei meiner Anzahl der Freunden gratuliert man statistisch täglich jemandem, wie soll das noch individuell und höflich funktionieren?
Darüber hinaus:
Ich werde mich ein bisschen feiern für einen Irrtum, den ich vor einem halben Leben (und davor) ausgesprochen habe. Langsam darf man von solchen Zeitspannen sprechen und sicher sein, dass man sie als sich erinnernder Mensch erlebte. Man weiß ja, ich habe gern und immer recht, aber für den heutigen Tag mache ich eine Ausnahme (bitte zur Kenntnis nehmen!) und den ordentlichen Gruftis keine Ehre, denn ich lebe (und vielleicht feiere ich auch ein bisschen).
Heute ist der Tag, den ich mit 15 nicht erleben wollte. Nienienie. Sehr sicher war ich mir, dass ich mir bis 30 längst den Strick genommen haben würde, um nicht zu ertragen wie das „Erwachsenenleben“ so ist, welches mir furchtbar spießig erschien. Jene, deren Halbwertszeit bereits verronnen war, belächelten mich wohlwissend, aber der kindliche Trotz, den ich vermutlich noch nicht komplett ablegen konnte, obschon ich mit Freude stets spießiger werde, ließ mich mein Vorhaben genauso vehement bekräftigen, wie ich mich nun, eineinhalb Dekaden später, konsequent gegen Kinder wehre (man möge mir mit weiteren Prognosen fern bleiben- ich irre bestimmt nicht noch einmal). Ich sage es nicht gern, Menschen, aber ihr hattet Recht. Ob ich nun im Zenit angelangt bin, weiß ich nicht, definitiv aber nicht am Ende, denke ich mir, bei einer Tasse Tee und mit Blick auf ein Blumengesteck, welches zum Glück nicht auf meinem Grab steht, obwohl es das könnte (btw: Lilien dort! Nichts sonst bitte!). So sagt also was ihr wollt, lasst Pur über graue Haare singen – vorsorglich habe ich diese weggetönt, das fällt kaum auf, da ich auch mit 15 schon meine Naturhaarfarbe nicht mehr in Erinnerung hatte- ich habe heute Grund zu feiern, weil ich mich irrte. Meine suizidalen Tendenzen sind und warten stets absent. Man kann mir vielleicht vorwerfen, komische Dinge studiert zu haben, seltsame Freunde oder unbeständige Beschäftigungsverhältnisse zu haben, schlechte Musikgeschmäcker, eine faule Haut oder ein Lästermaul, aber nicht, dass ich keine Freude am Leben hätte.
Und das wird heute gefeiert!
Herzlichen Glückwunsch, dass Du Geburtstag hast, Jeanie!
Obwohl Du Dir mit der „Freude am Leben“ wohl eher jene Versuchung von Menschen zu eigen machst, die etwas abzuverkaufen haben, das eigentlich niemand braucht, oder einfach Sex ohne Verpflichtungen möchten, beeindruckt mich Dein Blogeintrag zum 30. Geburtstag.
Bisher habe ich Dich an Deinen Geburtstagen immer so empfunden, als würdest Du stolz ein Sparbuch herzeigen, in welches die Natur des Gebens und Nehmens nun eine hübsche Summe Zinsen notiert. Dein Lohn für zwölf Monate emotionale Intelligenz.
Als Freak schaue ich meine Mitmenschen ja häufig von der Seite an, wie sie ihr Dasein wohl empfinden mögen? Ob sie leiden, hoffnungsvoll sind oder schlicht in der Landschaft stehen, sich am Schlag ihres Herzens zu erfreuen.
Der Algorithmus nun, der im Hintergrund eines Geburtstages abläuft, hat mich dabei stets am meisten fasziniert. Die formelhaften Wendungen, das rituelle Auspusten von Kerzen. Wobei mir offenes Feuer suspekt geblieben ist, obendrein mit den Jahren das Bedürfnis hinzutrat, nach jedem Händedruck ein Desinfektionstuch zu nutzen.
Stelle ich nach Deinen Gedanken zum 30. Geburtstag aber die Höflichkeit des Glückwunsches in den Hintergrund, tritt mir eine Kurverwaltung entgegen, der jedes Datum Recht ist Buden auf- und Sekt kaltstellen zu lassen: Was wäre die schönste Freude am Leben, gäbe es keine Gründe, sie auszuleben?
Und das ist vielleicht der tatsächliche Lohn großer Freundeskreise, von denen ja eigentlich keiner etwas weiß über unsere Mutter oder über den Namen, den wir tragen: Jeder Tag ist ein Geburtstag, also ein legitimer Grund anzustoßen und lebensfroh zu sein. Prost! Auf das Geburtstagskind!
Trefflich gebrüllt werte Löwiene, alles richtig, alles gut und alles ein Grund zum loben und letztlich auch zu feiern.
Darauf ein Sektchen!
Persönlitsch muss ich anmerken, dass das radikale Aufräumen der „Freundesliste“ wirklich gut und nötig und befreiend ist. Menschen mit denen man nicht mal ein Bier trinkt, mit denen man nicht mal quatscht und von denen man nichts zieht und denen auch nichts gibt, die im Fall der Fälle weder ein offenes Ohr noch ein freies Sofa haben oder ihnen im Gegenzug auch gewährt wird, sind in der Folge rausgeflogen.
Irgendwelche Pappnasen welche man mal vor 12Jahren auf einer Party kennengelernt oder mit denen man zur Schule gegangen ist vor (Achtung, Schockerzahl folgt) 27Jahren, die gehören seltenst dazu. Also müssen diese auch nicht wissen wie wo was weshalb warum.
Nun hast, allerdings sowohl Du mit deinem herrlichen Aufsatz, als auch ich mit meinem Geschwurbel viel zu lang in die Vergangenheit geschaut, nun heißt es in die Zukunft schauen und darauf noch ein Sektchen! 😉
Cherio,
derAlteSack
Sekt steht kalt, der alte Sack weiss bei Bedarf wo!
your command is my wish, my lady