Archiv für die Kategorie ‘Ausgelesen’

ausgelesen: Mirco Buchwitz – Nachtleben

Veröffentlicht: September 12, 2011 in Ausgelesen
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Mirco Buchwitz ist mir vor Jahren auf irgendeiner mir namentlich nicht mehr bekannten hannoveraner Lesebühne begegnet – ich erinnere mich daran, weil ich schon damals fand, dass der sprechende Name ein Geschenk für das, was er tat, war. An den Inhalt seiner Texte erinnere ich mich nicht mehr, wohl aber an seine prägnante Stimme. Umso erstaunlicher ist es, dass ich nun gespannt auf seinen Roman gewartet habe, wo auf seiner Homepage mehrere Hörschnipsel zu bestaunen sind.

Nachtleben erzählt, alles andere als chronologisch, die Geschichte eines männlichen Menschen, der es vermutlich, wie man sagen würde, „nicht leicht gehabt hat“. Das Grundproblem seines Lebens, welches den Roman speist, ist meiner Idee nach der Mangel an eigenen Zielen und Idealen. Die Hauptperson stolpert von Lebensphase zu Lebensphase und wird vom sich behauptenden Kinderheimjungen über einen Idealismussportler zum Türsteher und schliesslich in allerhand verharmlosten Kleinkriminellenkreisen berüchtigt.

Nachtleben erzählt von damals, heute und dazwischen. Sprünge in den Jahren und die zahlreichen Namen samt dazugehöriger Geschichten sind mir etwas zu viel gewesen, oft brauchte ich ein paar Seiten um wieder zu wissen, wo in der Geschichte, so oder so, ich mich befand. Das hat das Lesen zwar etwas holpiger gemacht, aber da die Handlung meiner Meinung nach ohnehin ohne wirklichen Höhepunkt (böse könnte ich sagen: Das Leben des Richard kommt ohne aus) auskommen muss, stören kleine Stockereien nicht allzu sehr. Es lohnt, den Figuren durch ihr Leben zu folgen.

Wenn man liest, es gehe um Prostitution, Drogen, Liebschaften, etc, dann denkt man entweder an sehr abgedroschene oder stark pathetische Geschichten. Nachtleben schafft es, um beides einen Bogen zu machen, es hebt den Zeigefinger nicht und straft auch nicht mit kitschigem Happy End. Danke.

Besonders berührend war ein Part über einen „Freund“, einen „polotischen Flüchtling“, der gar nicht dorther kam, woher man annahm. Es zeigt sich, warum geflunkert wird um eigene Wege zugehen und Menschlichkeit dabei nicht vernachlässigt wird.

Der Leser wird eigentümlich allein gelassen mit der Entscheidung, ob er mit dem Protagonisten Mitgefühl oder Mitleid haben möchte oder ob er diesen nicht gaz ernst nehmen kann. Wie ein in die Welt geworfenes Riesenbaby merkt er nicht, wie andere seine Entscheidungen treffen. Mirco Buchwitz führt durch eine Geschichte voller Lügen und Traumbilder, die es sich zu lesen lohn, auch wenn Desilluion, Hilflosigkeit und Lähmung aus dem Hinterhalt der Seiten kreischen. Alles in allem eine lesenswerte Geschichte, die locker daherkommt und ausreichend Ernstes in sich birgt.

Wenn man in Gedanken in des Autors Stimme lesen möchte, kann man sich einen putzigen Ausschnitt auf zehnSeiten anhören. Aber ich warne davor, den Sprachtyp wird man in Gedanken nicht mehr los!

Mirco Buchwitz hat sich die Mühe gemacht zu Nachtleben Trailer zu gestalten. Ich gehöre zu Lesern, die sich von Filmen nicht zu Büchern bringen lassen, denn ich will lesen, nicht schauen. Auch käme ich nie auf die Idee, bei Amazon Trailervideos zu schauen statt einen Klappendeckel zu lesen; so sah ich auch den Trailer zu Nachtleben erst nach dem Buch beim Schreiben dieses Textes aus Angst, mir Bilder in den Kopf zu setzen, die beim Lesen nicht weggehen. Doch auch der Trailer ist entspannend vehüllt. Zeitgemäße Bilder und das bewusste Aussparen von Gesichtern machen auch diese Werbung vermutlich ganz tauglich.Warum also nicht: tut ja nicht weh.

Übrigens ist heute, da ich in der Bahn die letzten Seiten von Nachtleben las, passenderweise der Todestag von Johnny Cash.

ausgelesen: Juli Zeh – Schilf

Veröffentlicht: August 21, 2011 in Ausgelesen, Literatur, Uncategorized
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[Mentizid versucht (sich) zu bilden.]

Schilf findet sich eingeordnet in „Kriminalliteratur“, die es, betrachtet man den Plot, auch – irgendwie- verköpert. Es gibt einen Todesfall, einen Mörder, Verwirrungen und: Ermittler natürlich. Wer jedoch nur einen Krimi lesen möchte, dem sei von Schilf dringend abgeraten, da die einzige im Roman vorhandene Spannung nicht durch die Auflkärungsarbeit (man erfährt unmittelbar wer der Mörder ist und durchschaut meiner Meinung nach auch sehr schnell, wer der „wirkliche“ Täter ist) sondern durch die „großen Fragen der Menschheit“ erschaffen wird.

Sebastian, Familienvater und erfolgreicher Physiker, wird zu einem Mord aufgefordert, dessen Ausführung sein vermeintlich entführtes Kind zurückbringen soll. Das allein genügt an Worten, um die Rahmenhandlung zu schildern, die das Fundament aller Gedankenexperimente bietet. Wichtiger ist jedoch, dass zwei rennomierte Physiker sich den Fragen von Raum und Zeit, Veränderbarkeit der Geschichte, Willensfreiheit und ähnlichen elementaren Daseinsfragen wie Konkurrenz und Eifersucht stellen. Es geht aber auch um Gewissen und Moral im Kontext von Recht, Glaube und Beweis. All jene Fragen sind in der – zugegeben etwas utopischen, zumindest was den sehr ideellen Ausgang anbelangt – Handlung untergebracht und untrennbar miteinander verworren.

Freude von Metaphern und prosaischer Sprache finden in Zehs Roman bestimmt viele labende Stellen. Trotz raffinierter Inhaltsgestaltung, die man in der Komplexität erst einmal so allgemeinverständlich darbieten können muss, bleibt es ein „Dazwischen-Buch“. Es ist kein klassischer Krimi, es „tut“ physikalisch und ist doch in weiten Teilen psychologisch begründet und hat, leider, ein paar Längen sowie ein Ende, das selbst im Angesicht des Todes kaum folgenlose Polizeiarbeit genannt werden kann.

Seitenhieb:  Ich bin ein optisch fixierter Leser, das lässt sich bei der Buchauswahl leider nicht immer leugnen, und das Cover von Schilf als Taschenbuch gefällt mir, auch was den Bezug zum Inhalt in mehrfacher Hinsicht angeht, ausgesprochen gut. [Völlig daneben ist lediglich der Brigitte-Kommentar auf dem Cover, dass es „[…]nervenaufreibend[…] wie Hitchcocks Meisterwerk“ sei – Vögel sind nicht gleich Vögel!]

  Juli Zeh – Schilf. Btb Verlag, 2009. 383 Seiten.

[Mentizid versucht (sich) zu bilden.]

Auf der Suche nach Spuren von Religion ist dieses dünne Büchlein mir vor allem durch den beschriebenen unaufdringlichen und mitunter gar nicht so  charmanten  Arbeitercharme des Ruhrpotts (man kann ruhig Pott sagen, denn es ist, als wühlt alles in einem großen Pott)  in Erinnerung geblieben. Es dauerte die halbe Geschichte, bis ich es zeitlich einordnen konnte, erst dann, mit diesem Wissen, liess ich mich auf die Geschichte ein, in der aus Perspektive eines 12jährigen berichtet wird, wie Mitewohnung, Arbeit unter Tage, minderjährige Verführungen und deren Konsequenzen, Familienalltag, Essen (wer isst schon noch Graupen? Herrlich!) und Kinderspiel zu einem Ganzen finden. Naiv und doch reflektiert.

Ein kurzes Büchlein (etwa 240 S.), daher auch einen Blick wert, wenngleich es ohne rasende Höhepunkte auskommen muss.

Ich las es, um zu erkennen, wie die kindliche Sozialisation natürlich im Katholizismus geschieht, obgleich der atheistischen Elterngeneration mit ganz anderen, sehr pragmatischen Sorgen – und das ist sehr bildhaft beschrieben – und natürlich nicht das Hauptthema im Roman.

Man weiss nicht so recht, warum man dieses Buch lesen sollte. Man weiss aber auch nicht, warum nicht.

Gleich zweimal bekam ich dieses optisch ansprechende Buch nun geschenkt; Grund genug es zeitnah zu lesen, denn wenn zwei Freunde es unabhängig voneinander auswählen UND glauben, dass es mir gefällt, soll das was heissen.

Bleiben wir bei den Äußerlichkeiten: weisses Cover (schick, aber schmutzanfällig, schon das Abziehen des ollen Aufklebers zeigt, dass der Hintergrund bereits nachgedunkelt ist) mit einem schwarzen Rechteck, übrigens auch inhaltlich passend). Der Schnitt ist schwarz, was ich an sich schön finde, was aber insofern ein Problem darstellt, als dass die einzelnen Seiten vermutlich durch den Farbauftrag zusammenkleben. Zwar konnte ich alle schadlos voneinander lösen, aber die Tatsache, dass müheloses Umblättern nicht geht, war etwas schade, gehört doch auch dieses Buch wieder zu jener von mir nicht sehr geschätzten Kategorie der Taschenbücher in Übergroße, die um die 15 Euro kosten. (Es geht mir dabei ums Prinzip, auch wenn ich jenes nicht selbst erstehen musste). Ansonsten schönes festes Papier, eigentlich ein feines Teil.

Zum Inhalt will ich nicht zu viel sagen, denn das ginge nicht, ohne etwas der eher begrenzten Handlung zu verraten. Die Handlung spielt auf dem Kiez in Hamburg. Drogen, Clubs, Korruption, Party, Erpressung, Politik (ganz nett eigentlich: Antifa vs. Innensenatorin), Liebe. Alles drin. Was mir besonders gut gefallen hat ist, dass die Handlung in weniger als 24 Stunden spielt, genaugenommen liegt der Fokus auf etwa 12 Stunden, in denen vor der finalen Party in einem abzureissenden Etablissement so einiges passiert. Schön erzählt, gut reindenkbar. Der Inhalt ist fluffig erzählt, leicht lesbar. Ideale Zuglektüre oder wenn man schon etwas müde ist und noch ein paar Seiten unterhalten werden möchte.

Es reiht sich allerdings auch ein in jede Popliteratur, die modern den Alltag erzählt, der so doch nicht auftritt –  nicht normal genug um sich damit zu identifizieren, nicht krass genug, um anstößig zu sein. Sowieso wird in „Sowas von da“ wenig Blut, Sex und Erniedrigung des Nachtlebens zu finden sein. Der eine kotzt, der andere kokst, das ist alles durchaus authentisch. Nur das Zusammentreffen einiger schicksalhafter Begegnungen ist etwas „viel“ für die beschriebene Zeitspanne. Doch darum geht es in „Sowas von da“ nicht,  in dem Buch ist jeder einfach „sowas von da“ und tut, was zu tun ist. Erpressen, knutschen, saufen, Bands auflösen. Whatever.

Insgesamt eine unterhaltsame und oft authentische Darstellung des Nachtlebens von einem Autor (ein nicht ganz unattraktiver, übrigens.. ), der es in seinem eigenen Club sicherlich und hoffentlich besser macht als sein nicht einmal 10 Jahre jüngerer Protagonist Oskar, der mit Anfang 20 mehr dem Idealismus als dem Pragmatismus verfallen ist und dessen Namen beim Leser schon eine Grundsympathie erzeugt, wenn auch keine vollkommen berauschende Lektüre.

Auf jeden Fall ist es das einzige Buch, in dem ich 15 leere Seiten fand. Der danach folgende Epilog ist eine sachliche Zusammenschau des „Was danach geschah…“ und wirkt irgendwie wie die Printversion des hidden tracks.

Nicht andersherum. Dahl, gut bekannt, längst, die Krimireihe, geschätzt, verfolgt.

Wohl gewusst, dass Dahl das Pseudonym ist, aber mich nie damit befasst, wer eigentlich Jan Arnald ist. Nicht geahnt habe ich, dass er mir lieber werden würde.

Über „Maria und Artur“ kann ich wenig sagen; beide schwedischen Dichter sind mir unbekannt, aber wie sie mir im Buch präsentiert werden, waren sie mir sehr nah.

50 gemeinsame Jahre beschreibt das Buch, auch die Zeit davor und danach um zu zeigen, wie das eigentümliche Schriftstellerpaar sich findet, entwickelt und den anderen ziehen lassen muss. Arnald gelingt es in ansprechend sachlichen Worten ohne Schnörkel eine Beziehung der beiden aufzuzeigen, die trotz aller Tiefen und Enttäuschungen kaum wundervoller sein könnte. Jahrzehnte des Reisens, der Flucht vor dem anderen, Jahrzehnte voller beflügelnder Affären und noch beflügelnderer Liebhabereien, Verliebtseinsphasen und Phasen des intensiven Austauschs mit anderen führten stets dazu, zu erkennen, wo der Heimathafen ist, wo die Sicherheit wartet. Zwei Menschen, die sich höchstens durch ihre Freiheit einschränkten, die sich unendlich liebten und sich stets losliessen, werden dem Leser von Jan Arnald vorgestellt. Wenn ich auch im ersten Drittel noch dachte, ob das metaphernreiche Buch mit seiner stringenten Erzählung zweier Leben mir gefallen könnte, hat es mich in der Mitte überzeugt, nicht zuletzt, weil beide Autoren mitreissende Erlebnisse hatten, um mich zum Schluss, und das ist das beste Zeichen, auf den letzten 10, 15 Seiten mit einer Gänsehaut zurückzulassen. Sie altern. „Sie altern in einer Form von Chaos. Aber dieses Chaos hat dennoch Leben in sich. Sie kommen sich näher. Sie leben in der Klaustrophobie des anderen. Es ist wahnsinnig. Und es ist schön. Es hat eine eigene grausige, erschreckende Schönheit.“ (S. 283)

Ich habe eigentlich kein Interesse an Biographien. Ich habe eigentlich kein Interesse an Liebesgeschichten. Doch uneigentlich ist dieses Buch eine große Bereicherung gewesen.

Jan Arnald: Maria und Artur. Roman einer Schriftstellerliebe. Pieper. München,  2008.

Nochmal Krausser, sein Neuster. Wenn mir ein Autor einmal gefällt, so bei „Eros“ und „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ geschehen, lese ich gern bei ihm weiter; an Neuerscheinungen komme ich kaum vorbei, auch wenn der Klappentext (s.u.) nur semispannend klingt.

„Die letzten schönen Tage“ war schnell gelesen, und trotzdem ein Buch, über das die Meinung sich im Leseverlauf veränderte. Als ich begann, dachte ich zunächst: typisch. Moderner Plot, Figuren mit Alltagsüberdruss, Beziehungen, die sich nichts mehr geben, Ausfluchten. Das Übliche eben. Wieder beginnen, so denkt man, einzelne Geschichten, deren Handlung mehr und mehr ineinander zahnt, bis sich, anders als im Vorgängerroman, herausstellt, dass es eine einzige,  episodenhaft festgehaltene Geschichte ist.

Es geht um Serge, einen Werbetexter, dessen Freundin und ihre Liebschaft, Serges Kollegen, des Kollegens neuerdings lesbische Mutter und ihre Freundin wie Reisepartnerin, eine zu pflegende Katze und den Versuch, das Leben in Deutschland unter Wahn und Krankheit auf einer warmen Insel weiterzuführen. Die Handlungen sind bei Krausser gar nicht überaus innovativ, aber was sie reizvoll macht, ist die Inszenierung der Form und der Alltagsspiegel. Ich kann mir gut vorstellen, dass Kraussers Romane Abziehbilder einer Zeit sind, die in seinen Worten konserviert sind. Zeitlos sind sie jedenfalls nicht.

Was erst langweilig begann, wurde mehr und mehr eine lesenswerte Geschichte, in der man für jede beteiligte Person den Buchtitel neu interpretierte. Leider wird es dadurch auch kein Buch der erinnerungswürdigen Oberklasse, aber für belletristische Unterhaltung ist es nach meinem Empfinden zumindest solide. Kann man machen..

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Klappentext: Serge Hanowski ist Mitte dreißig und Werbetexter in einer Berliner Agentur. Er ist manisch – mit einer Prise diabolischem Feuer. Eines Nachts wartet Serge auf die letzte Bahn nach Neukölln, als er auf den Gleisen ein Centstück liegen sieht. Er weiß sofort: Das ist mein Glückscent. Aber runterspringen? Die Vernunft siegt. Serges größter Wunsch ist es, endlich seine Freundin Kati zu heiraten. Was er nicht weiß: Kati hat ein Verhältnis mit seinem Arbeitskollegen David. Doch sie entscheidet sich für ihn und eine gemeinsame Auszeit auf Malta. Die beiden kommen bei den halbseidenen Angestellten eines Online-Poker-Servers unter, was ihr Leben nicht einfacher macht. Und auch auf der Insel wird Serge von Eifersucht getrieben. Er hackt sich in Katis E-Mail-Zugang ein und beginnt in ihr Leben einzugreifen. Kati kann nur ahnen, wozu Serge in der Lage ist. Tempo, Witz und die Fallstricke einer Dreiecksbeziehung machen Helmut Kraussers neuen Roman zu einer rasanten Tragikomödie um Liebe, Entsagung – und nahrungsverweigernde Kater.

Nachdem ich nun mit einiger Begeisterung das eine oder andere Buch von Helmut Krausser gelesen hatte, hielt ich es für angemessen, zu dessen Anfängen zurück zu gehen und zu schauen, was ihn bekannt(er) gemacht hat.

Es erging mir wie so oft, wenn ich Großes erwarte. Obszön wird es beschrieben, vulgär, das erste Kapitel titelt irgend etwas von „Kampfmösen“. Na, meinetwegen. Möglich, dass ich 1992 ziemlich geschockt gewesen wäre, leider berührt mich heute die Geschichte des Obdachlosen mit dem sprechenden Namen Hagen Trinker gar nicht mehr. München, wo die meiste Handlung spielt, ist mir nicht bekannt, ich kann mir vorstellen, dass es interessant wäre, den Protagonisten durch vertraute Milieus zu begleiten.

Eigentlich klingt alles ganz gut: es geht um Hagen, der sich in eine Ausreißerin verliebt, es geht um deren Umfeld, einen minderjährigen Jungen mit Idealen und viel Loslösung von Konventionen.

Trotzdem habe ich mehr erwartet und „Fette Welt“ schaffte es nicht über den Status eines Frühstücksbuches  hinaus. Jeden Tag ein paar Seiten lesen, schamlos Nutellaflecken auf Seiten schmutziger Deflorationsbeschreibungen verteilen und mangelnde Spannung erfahren, die nicht motivierte, das Buch vom Küchentisch zu entfernen.

Manchmal war es vielleicht ein wenig ekelig, manchmal übte es ein bisschen Kritik und manchmal berührte es Fragen der Menschheit: aber nichts davon sickerte wirklich zu mir durch, blieb alles nur fader Beigeschmack. Vielleicht lohnt es, sich Jürgen Vogel als Hagen Trinker anzusehen, statt sein Geplapper zu lesen.

Einsamkeit und Sex und Mitleid.

Einsamkeit.Und.Sex.Und.Mitleid. Völlig klar und ähnlich deutlich wie:  „Ich geb Dir 100 Euro, wenn ich Dich lecken darf.“ So ist Krausser in diesem Werk, klar, deutlich, fordernd und schonungslos deskriptiv.

Mal ganz ehrlich, allein der Titel des Buches hat es verdient, gekauft zu werden und ganz sicher geschah die Kaufentscheidung nicht zuletzt deswegen. Krausser ist mir in „Eros“ in Erscheinung getreten und hat mittels der „Schmerznovelle“ meine Aufmerksamkeit erfahren, so dass es wenig Überwindung kostete, diesen Roman in die Hand zu nehmen. „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ erzählt viele Geschichten unterschiedlicher Figuren in Berlin, die alle auf ihre Art allzu bekannt sind. Kneipenbedienungen und Trinker, Jugendliche, Migranten, Callboys,  Frauen in der Midlifecrisis – der klassische Querschnitt der gesellschaftsnahen Randgruppen mit kleinen aber doch nicht existenzbedrohenden Problemen.

Jede Geschichte beginnt für sich, bis es im Verlauf des Romans immer mehr Berührungspunkte der Akteure gibt, man trifft sich, zufällig oder auch nicht, interagiert, oder auch nicht. Ein bisschen erinnerte die Struktur mich an Kehlmanns Ruhm, nur sind die Berührungspunkte häufiger, die Geschichten anders und der Handlungsort ausschließlich Berlin (möglch, dass der Berliner sich daran sehr erfreuen kann, mir scheinen die zuordnungen nicht beliebig).

Was das Buch lesenswert macht, ist die Natürlichkeit der Macken und Manien der Protagonisten, die alle ein bisschen „durch“ sind, aber eben lebensfähig durch.  Versprechen werden gemacht, manche sogar eingehalten. Wenn man schreibt, dass es um Beziehungsprobleme, Sex, Alkohol, Freundschaft und Liebeskummer geht, klingt das zu banal um dem lockeren aber nicht läppischen Inhalt gerecht zu werden. Es ist ein bisschen rührend, ein bisschen komisch und ein wenig spiegelnd.

Ach, ich mochte es. Punkt.

oder:  Stör mich nicht in meinen Wirklichkeiten!

Nachdem ich Arthur Schnitzler zu lange nicht kannte, hat mich die Bekanntschaft mit der Erzählung „Fräulein Else“ schwer beeindruckt und fasziniert. Eine Erzählung mit angenehmer Tiefe in den Berichten der moralische Not einer jungen Frau und deren Versuch, ihren Vater zu retten, indem sie Geld angeboten bekommt, sofern sie sich unbekleidet beschauen lässt. Für die 20er Jahre des schicken Wiens sicher eine heikle Fragestellung, diese Fleischbeschau, die sich mit vielen beklemmenden Monologen in der Erzählung von allen erdenklichen Seiten präsentiert. Soweit zu Schnitzlers großartiger Vorgabe, die ich nun als Comic fand, gezeichnet von Manuele Fior.

Comic, nun, ein ganz anderes Medium als der sperrige aber doch zugleich leichte Text Schnitzlers? Passt das zusammen? Ohne einen Blick in das Buch geworfen zu haben wurde es erstanden, was dazu führte, dass der erste Blick hinein mich noch nicht recht überzeugte.

Fräulein Else Keine geraden Linien eines Mickey Mouse Comics erwarten den betrachtenden Leser, sondern verwischte Tuschungen, bei denen ich mir lange nicht sicher war, ob sie mir gefallen. Gerade die Gesichter der handelnden Personen, die alle sogleich eingeführt sind und den nötigen Wiedererkennungswert mitbringen, sagten mir zunächst nicht zu, erinnerten sie mich zu sehr (ohne es vermutlich zu sein) an übertuschte Bleistiftzeichnungen, die einfach nicht meiner Vorstellung von „schön“ entsprachen (und dieses „schön“ spielte in meiner Vorstellung aus der Vorlage eine durchaus nicht zu unterschätzende Rolle, denn wäre Fräulein Else nicht schön, wäre Summe und Gegenleistung, Brisanz und Selbstverständnis für mich etwas anders transportiert). Bis zu dem Moment, an dem die Geschichte ihren relevanten Punkt erreicht, mit dem Brief Elses Mutter in die Ferien, mit der Bitte, sich um das benötigte Geld zu bemühen, blieb ich ambivalent bezüglich des Zeichnenstils, was jedoch danach folgte, überzeugte mich mehr. Elses Gedankenkämpfe mit sich selbst, die Momente der festen Überzeugung, das frivole Angebot abzulehnen, zwar Luder an angemessener Stelle sein zu wollen doch niemals Dirne, die verwaschen zu den „was-wäre-wenn“-Überlegungen hinzufloh, rückten die Bilder in ein rechtes Licht. Farben verschwinden und dunkle Flächen nehmen ihren Platz ein. Der Zeichenstil vermag plötzlich in meinen Augen Stimmungen zu unterstreichen.

Allein die Aufmachung ist ein haptischer Genuss. Ziemlich großformatig kommt der Comic daher, gar nicht hefthaft wirken die festen, pappdicken Seiten und der Einband aus Strukturpappe fasst sich herrlich an. Nun verstehe ich, warum ich knapp 20 Euro für einen „Comic“ ausgab. Und schlage ich die letzte Doppelseite auf, ist sie sofort da, die tiefe, dunkle Beklemmung, der bittere Beigeschmack nach dem Veronal.

Eine Frage bleibt unbeantwortet: Würde dieser Comic die gleiche Wirkkraft haben, wenn Schnitzlers Erzählung dem Leser unbekannt wäre? Ich wage zu behaupten, dass das anzunehmen ist; die Geschichte wird ausreichend ausführlich übernommen, aber ganz sicher kann ich mir bei der Aussage nicht sein, ob meine ursprüngliche Faszination nicht einerseits eine gute Ausgangslage für den Comic mitbrachte und andererseits, ob meine Interpretationen durch die Textkenntnis nicht über das, was das eine Medium hätte liefern können, hinaus ging.

Die beigefügten Bilder dokumentieren den Farbwandel im ersten Teil der zweigeteilten Graphic Novelle, der mich schlussendlich überzeugte. Zunächst eine Eingangsszene: Vorstellung der Urlaubsregion Elses. Im zweiten Bild hat Else das für sie verwerfliche Angebot aus Bild drei just erhalten und ist der festen Überzeugung es abzulehnen. Das Gesicht bleibt zwar zwischen dem ersten und dem letzten Bild gleich wenig „schön“ – es ist weder weich noch detailreich- aber die transportierten Gefühle werden eindringlicher. Auch der zweite Teil ist farblich ähnlich, er beginnt mit Seiten, die überwiegend gelb gestaltet sind, zu denen sich im Verlauf der Seiten immer mehr rot gesellt um schlussendlich von grau und schwarz dominiert zu werden.

So oder so: Eine Freude, einen so beeindruckenden Text, also so starke Vorlage, nicht minder gut in ein anderes Medium transportiert zu sehen. Der Graphic Novel sei damit eine Chance gegeben.

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Dazu hört sich im Gedankenkontext phantastisch: Radiohead. Und ich wiederhole in diesem Zusammenhang gern:

„Darf ich mich einen Moment zu Dir setzen, Else, oder stör‘ ich Dich in Deinen Träumen?“ – „Warum in meinen Träumen? Vielleicht in meinen Wirklichkeiten.“

Fräulein Else bewegt, ganz gleich ob in Text oder in Bildern.

„Am Wochenende verkehre ich in der Regel mit niemandem. Ich bleibe zu Hause, räume ein wenig auf, kultiviere eine kleine Depression.“

Schon bei diesem Satz, der mir ausgesprochen sympathisch war, hätte ich ahnen können, was auf mich zukommt. Nachdem ich Elementarteilchen zugangslos bei Seite legte, dachte ich, so eine kurze Erzählung wäre eine gute Gelegenheit, dem Autoren abermals eine Chance einzuräumen, zumal mit einem Büchlein, was seinerzeit preis- und skandalträchtig war.

Lange las ich kein Buch mehr in unter zwei Stunden und ich hege den Verdacht, einzelne Passagen mit dem Auge gerafft zu haben, was schade ist, beherbergt es doch einige sprachliche Höhepunkte einfacher, klarer aber eloquenter Sprache. Mein Lesen ist abgebrüht genug um von der Aufforderung zum Lustmord nach gut hundert Seiten keineswegs geschockt zu sein, aber kurz überlegte ich, ob das einmal Punkt des Anstosses war.

Bis zu dieser Wendung hat mir das Lesen durchaus Freude bereitet, weil es mir meist Freude bereitet, semi-gescheiterte Existenzen an der Welt kranken zu sehen während sie noch ganz gut funktionieren. Wie weit das Scheitern bereits gediehen war, wurde mir erst im letzten Drittel bewusst. Nachdem man heute allerorts über Depressionen liest, habe ich die bildlich bis verständlichen Beschreibung des Fühlens des namenlosen Protagonisten leider zu wenig gewürdigt; Houellebecq lässt bedauerlicherweise sprachlich zu, im Schweinsgalopp durch die Seiten zu preschen.

Bestimmt ein Buch, was seiner Zeit voraus war und durchaus auch heute noch ein anständiges Stück Literatur, das trotz ihrer eigentlichen Schwere „mal schnell“ konsumiert ist. Es ist auch kein „Männerbuch“, wie ich zunächst dachte, es ist, auch wenn ich das beim Lesen noch nicht wusste, eine lesenswerte, kurze Geschichte über einen belanglosen Menschen in einer noch belangloseren Gesellschaft. Es hat mir gefallen.

Ausgelesen: Johann Theorin – Nebelsturm

Veröffentlicht: März 27, 2011 in Ausgelesen, Literatur
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„Das war ja wohl nicht nötig“, würde ich normalerweise nach solchem Buch denken, passte es nicht prima in einen Kanon von schwedischen Krimis, mit dem ich mich einst befasste.
Ein Krimi ohne klassisch ermittelnde Hauptperson, mit vielen losen Enden, die alle an den Aufklärung mitwirken, allerdings aus verschiedenen Gründen. Einsame Höfe, Großstädter mit Landflucht bringen urbane Probleme in die Einöde, Inhalte austauschbar.

Einzig eine spirituelle Vielfalt machte das Buch lesenswert für mich. Opfermoore, Totengedenken, Yoga, Geister, Wiedergänger, Bestattungen, Riten, Satanisten und Esoterik vieler Formen im ach so säkularen Schweden. Ein bisschen unter der zynischen Prämisse der Tristesse der Insel finden sich zahlreiche religiöse Anflüge auf den knapp 450 Seiten. Leider konnte ich die  wüste Reihung wenig ernst nehmen, es wirkt eher verkaufsorientiert als bedacht, wie stark diese Phänomen eingestreut sind – leider. Da hätte man weniger übertrieben sicherlich mehr erreicht.

Eigentlich ist es ein ganz geschickter Schachzug, dass es im Laufe der Geschichte (und der Geschichte in der Geschichte) zahlreiche Tote gibt, aber augenscheinlich keine Morde und zahlreiche Interessierte aber kaum Ermittelnde und letztlich alles herauskommt, ohne dass man diese Aufklärung gesucht hat. Eigentlich ist es auch ganz spannend, Trauer und Einsamkeit mittels religiösen und psychischen Begebenheiten (oder deren Verwirrungen) zu erklären, würde es nicht im Ansatz stecken bleiben. Eigentlich könnte es ein besseres Buch sein.

In Anbetracht dessen, dass Thomas Glavinic Gast in der Stadt sein wird und unter der Selbsterkenntnis, dass ich es nicht ertrage, wenn meine Gesellschaft mehr gelesen hat als ich, stand ich – fast zufällig- am Wochenende vor Glavinics neustem Roman und dachte: Joa… – kaufste!

Auf dem Klappentext etwas von Whiskey und Koks, brutalen Morgen und einem verschanzten Typen, der sich einer virtuellen Internetgemeinde offenbart. Klingt exakt so, als müsste ich es dringend lesen. Das tat ich dann auch, nicht ohne mich an eine gute Kritik zu erinnern, die davon sprach, ein Meisterwerk Glavinics gefunden zu haben, ganz in der guten Tradition aktueller Momentaufnahmen, kritisch, zynisch, lustig.

Tja, all das vermisste ich etwas auf den kurzen 200 Seiten, die „Tom“ die Hörer zuquatscht. Immer wartend auf die Steigerung, auf ein Ende mit Grund oder zumindest eine Auflösung der enormen Gewaltandeutungen und Lisas Rätselhaftigkeit. Nix.

Vielleicht verstehe ich in den kurzen Absätzen unformatierter, ungehobelter Sprechsprache die Genialität des Autors einfach nicht zwischen all den Banalitäten. Vielleicht bin ich zwischen Flutopfern und Verstrahlten auch nicht mehr empfänglich für subtilste Gesellschaftskritik und kleine Anekdoten, aber so wie ich dieses Buch las, war es leider schlichtweg überflüssig. 17,90 Euro dafür, dass ich Monologe eines zugekoksten Trinkers höre (lese!), dessen Abgedrehtheit nicht genügt, um spannend zu sein.

Ein letzter Funken Hoffnung bleibt, dass der Zugang vorgelesen ein anderer ist, denn im Prinzip ist es eine gedruckte Dauerradiosendung. Gedruckt bewirkt es in mir genaugenommen gar nichts.

Schade, Herr Glavinic, aber ich werde Sie trotzdem anhören kommen.

Sehr treffend hat der Protagonist es auf den Punkt gebracht: „Das hört sich alles wieder so misanthropisch an. Ich bin keiner, ich bin kein Misantroph. Ich bin nur ein Leidender am Gesamtzustand der individuellen Unerträglichkeit.“

Schon nach wenigen Seiten, ja gar Zeilen, war meine Lesulust für Krausser wieder entfacht. „Schmerznovelle“ trägt nicht nur einen vielversprechenden, klingenden Titel, erinnert in Länge und Form an Stefan Zweig, sondern beginnt auch banal faszinierend mit der Einführung des Protagonisten, eines Psychologen, der auf Einladung hin bei seinem ehemaligen Doktorvater zu Besuch weilt.

Es stellt sich heraus, dass der Besuch zum einen Begegnungen mit des Professors Frau, einer ehemaligen Mitstudentin, zu heiklen Dilemmata führt und zum anderen der Besuch dem Zweck dient, einem (zumeist weiblichen) Forschungsobjekt, bei dem der Altmeister nicht recht weiterkam, dem Jungen als Spielwiese überlassen wurde.

Zwischen Wahn und Sinn, zwischen Schmerz und Einfühlung braust die Novelle nur so dahin, die psychologischen Muster wecken große Erwartungen, aber leider, leider bleibt dieser Spannungsbogen nicht gespannt, es fällt sachte ab zum Ende und die Katastrophe wirkt kaum mehr auf den Leser. Möglicherweise gewollt, aber ich wünschte es mir brechender. Lauter. Mit mehr Schmerz.

Nichts desto weniger (das erinnert mich immer noch, fast sechs Jahre nach dem Auswendiglernen, an Brechts Lehrstück) ein nettes Stück Literatur, ein feines Häppchen was den Hunger auf mehr Krausser’sche Abwunderlichkeiten weckt!

Daniel Kehlmanns „Ruhm“ lockt mit einem Titel, der nicht in engster Verbindung zum Buche steht. Ein Roman mag es sein, doch der Untertitel „9 Geschichten“ trifft es besser, denn das romantypische Verhalten mehr oder minder stringenter Handlung bleibt verlustig. Auch die Länge – oder besser gesagt Kürze  – von 200 Seiten lädt vornehmlich zum kurzweiligen Verweilen ein. Jede einzelne Geschichte ist gut und gern, angenehm fürwahr, in der Bahn oder beim Frühstück konsumierbar.

Die neun Geschichten sind einzeln lesbar und hängen doch dann (gar ständig? unaufdringlich zudem) und wann ein wenig zusammen. Mal am seidenen Faden, mal durch gemeinsame Nebenfiguren, aber manchmal eben auch durch das wiederholte Erscheinen ganz zentraler Figuren. Dem fehlt eine kleine Prise Phantasie und gekonnt aufgedeckte Konstruktion nicht.

„Ruhm“ lässt sich schwer in Worte fassen, obgleich jede der neun Geschichten problemlos und für sich nacherzählbar wäre. Der Reiz des Büchleins liegt allerdings dazwischen, im Ungesagten, im Vergleich der Figuren zwischen den Geschichten. Der Aspekt der Romankonstruktion ist brilliant gelöst zu Gunsten der Lesefreude des Lesers, der immer wieder in den Genuss kommt, Versatzstücke zu erkennen – als sei er der Künstler und nicht der Autor.

Ein perfektes Büchlein für Zwischendurch. Ganz sicher kein Epochenwerk, aber ein junger, erfrischender Versuch der etwas anderen Erzählweise. Uneingeschränkt empfehlbar, denn es hat mir viel Freude bereitet. Themen um Technik, Handy und Computer ergänzen sich mit Liebelei, Angst, Einsamkeit – Modernes und Zeitloses finden zusammen.

Daniel Kehlmann

Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten.

Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2009

oder: Was krasser klingt, als es sich darstellt.

Ein Buch, welches – wenn auch nur im Innenbereich und nicht auf dem Buchdeckel – den Untertitel „Skandinavische Misanthropie III“ trägt, animiert mich zum Lesen, selbst wenn das Cover unansehnlich pink-grau daherkommt.

Ein Buch, welches aus der Serie „Heyne Hardcore“ stammt, lockt mein Interesse: So etwas gibt es? War mir neu, verdient vielleicht aber eine nähere Betrachtung (merken!). Ein Rezensionsschnipsel auf dem Cover spricht von harter Darstellung von „Gewalt, Drogen und Sex“. Kein Problem soweit, ich lese gern derbere Romane, habe kein Problem mit „Junger Literatur“ und war neugierig.

Die ersten Seiten bestätigen meine durch diese kurzen Fetzen geweckten Erwartungen. Eine junge Afrikanerin, ihr kluger aber gewalttätiger Bodybuildernorweger, Sex. Alles – das allein ist nicht ganz gewöhnlich – aus der (negativen) Selbstsicht der Frau:  „Der Frau wird die Möglichkeit verwehrt, das wirklich Private zu bewahren, solange sie einen Schlitz zwischen den Beinen hat, in den Männer hineinstoßen, weil sie sowohl mental als auch physisch dazu geschaffen sind.“ (S.15). Rollenverteilung klar? Wenn nicht, nochmal: „Sie [die Frauen] sind durch die Art, wie sie geschaffen sind, definiert; das Loch, das gleichzusetzen ist mit dem Eingang, und der Geschlechtsverkehr – der entscheidende Akt des Lebens – haben Konsequenzen, die innerlich sind, nicht sozial aufgezwungen.“ (S. 16). Diese Definition, physisch, biologischer Art, ist auch schon fast das spannendste, was der Roman mir zu bieten hat. Eine körperbauliche Sexualdefinition zu Lasten der Frau – warum nicht. Den einzigen akzeptablen Sex im Roman hat die Protagonistin mit einer Frau, alle anderen Akte deuten sich als Vergewaltigungen oder von anderen zerstört an.

Die eigentliche Geschichte handelt von der Frau und ihrem Mann, oder besser Ex-Mann, ihren zwei oder vielleicht drei problembehafteten Söhnen und der Leidenschaft der Männer bezogen auf Splatterfilme und Egoshooter. Die eigentliche Handlung lässt mich kalt; wären nicht dann und wann Anklänge schwarzer Menschen in der weißen, norwegischen Gesellschaft zu erkennen, die drastisch aber mitunter nachvollziehbar beschrieben werden, hätte ich das Buch längst weggelegt.

Die Sprache ist einfach, oft wie gedacht oder gesprochen und bildet dadurch den entscheidenden Reiz zum Nachvollziehen, sie hilft, es authentisch wirken zu lassen. Die angekündigten Drogen ( in Pillen- oder vielleicht Snus-Form?, gelegentlich wird auch gesoffen) spielen keine tragende Rolle (quasi: ist halt so…)  und in Gewalt gipfelt eigentlich alles. Ist man abgestumpft genug um die Schilderungen nur überfliegen zu können? Irhgendwie schon. Prügel, Vergewaltigung, Demütigung sind hier keine Anschauugsobjekte für Voyeure sondern Alltag der Handelnden und daher auch nebensächlich in ihrem Vorkommem. Das würde ich definitiv als Stärke des Romans sehen, denn er versucht nicht kramfphaft „übel“ zu sein – übel ist, dass solche Menschenverachtung (denn niemand schätzt andere als sich selbst wert) zum Alltag werden kann. Alte Muster bestimmen das Ende, befriedigend ist es aber für niemanden.

Ein paar schöne Sätze bot das Buch unabhängig von der computerspielaffinen Handlung. Mein liebster, zeitloser Satz ist:

Genau wie die Japaner ein Wort für Frauen haben, die von hinten gut aussehen, aber nicht von vorn, sollte es ein Wort geben für Leute, die klug aussehen, es aber nicht sind. “ (S. 51)

Mathis Faldbakken: Unfun

Heyne Hardcore, 2010

270 Seiten