Mit ‘Comic’ getaggte Beiträge

oder:  Stör mich nicht in meinen Wirklichkeiten!

Nachdem ich Arthur Schnitzler zu lange nicht kannte, hat mich die Bekanntschaft mit der Erzählung „Fräulein Else“ schwer beeindruckt und fasziniert. Eine Erzählung mit angenehmer Tiefe in den Berichten der moralische Not einer jungen Frau und deren Versuch, ihren Vater zu retten, indem sie Geld angeboten bekommt, sofern sie sich unbekleidet beschauen lässt. Für die 20er Jahre des schicken Wiens sicher eine heikle Fragestellung, diese Fleischbeschau, die sich mit vielen beklemmenden Monologen in der Erzählung von allen erdenklichen Seiten präsentiert. Soweit zu Schnitzlers großartiger Vorgabe, die ich nun als Comic fand, gezeichnet von Manuele Fior.

Comic, nun, ein ganz anderes Medium als der sperrige aber doch zugleich leichte Text Schnitzlers? Passt das zusammen? Ohne einen Blick in das Buch geworfen zu haben wurde es erstanden, was dazu führte, dass der erste Blick hinein mich noch nicht recht überzeugte.

Fräulein Else Keine geraden Linien eines Mickey Mouse Comics erwarten den betrachtenden Leser, sondern verwischte Tuschungen, bei denen ich mir lange nicht sicher war, ob sie mir gefallen. Gerade die Gesichter der handelnden Personen, die alle sogleich eingeführt sind und den nötigen Wiedererkennungswert mitbringen, sagten mir zunächst nicht zu, erinnerten sie mich zu sehr (ohne es vermutlich zu sein) an übertuschte Bleistiftzeichnungen, die einfach nicht meiner Vorstellung von „schön“ entsprachen (und dieses „schön“ spielte in meiner Vorstellung aus der Vorlage eine durchaus nicht zu unterschätzende Rolle, denn wäre Fräulein Else nicht schön, wäre Summe und Gegenleistung, Brisanz und Selbstverständnis für mich etwas anders transportiert). Bis zu dem Moment, an dem die Geschichte ihren relevanten Punkt erreicht, mit dem Brief Elses Mutter in die Ferien, mit der Bitte, sich um das benötigte Geld zu bemühen, blieb ich ambivalent bezüglich des Zeichnenstils, was jedoch danach folgte, überzeugte mich mehr. Elses Gedankenkämpfe mit sich selbst, die Momente der festen Überzeugung, das frivole Angebot abzulehnen, zwar Luder an angemessener Stelle sein zu wollen doch niemals Dirne, die verwaschen zu den „was-wäre-wenn“-Überlegungen hinzufloh, rückten die Bilder in ein rechtes Licht. Farben verschwinden und dunkle Flächen nehmen ihren Platz ein. Der Zeichenstil vermag plötzlich in meinen Augen Stimmungen zu unterstreichen.

Allein die Aufmachung ist ein haptischer Genuss. Ziemlich großformatig kommt der Comic daher, gar nicht hefthaft wirken die festen, pappdicken Seiten und der Einband aus Strukturpappe fasst sich herrlich an. Nun verstehe ich, warum ich knapp 20 Euro für einen „Comic“ ausgab. Und schlage ich die letzte Doppelseite auf, ist sie sofort da, die tiefe, dunkle Beklemmung, der bittere Beigeschmack nach dem Veronal.

Eine Frage bleibt unbeantwortet: Würde dieser Comic die gleiche Wirkkraft haben, wenn Schnitzlers Erzählung dem Leser unbekannt wäre? Ich wage zu behaupten, dass das anzunehmen ist; die Geschichte wird ausreichend ausführlich übernommen, aber ganz sicher kann ich mir bei der Aussage nicht sein, ob meine ursprüngliche Faszination nicht einerseits eine gute Ausgangslage für den Comic mitbrachte und andererseits, ob meine Interpretationen durch die Textkenntnis nicht über das, was das eine Medium hätte liefern können, hinaus ging.

Die beigefügten Bilder dokumentieren den Farbwandel im ersten Teil der zweigeteilten Graphic Novelle, der mich schlussendlich überzeugte. Zunächst eine Eingangsszene: Vorstellung der Urlaubsregion Elses. Im zweiten Bild hat Else das für sie verwerfliche Angebot aus Bild drei just erhalten und ist der festen Überzeugung es abzulehnen. Das Gesicht bleibt zwar zwischen dem ersten und dem letzten Bild gleich wenig „schön“ – es ist weder weich noch detailreich- aber die transportierten Gefühle werden eindringlicher. Auch der zweite Teil ist farblich ähnlich, er beginnt mit Seiten, die überwiegend gelb gestaltet sind, zu denen sich im Verlauf der Seiten immer mehr rot gesellt um schlussendlich von grau und schwarz dominiert zu werden.

So oder so: Eine Freude, einen so beeindruckenden Text, also so starke Vorlage, nicht minder gut in ein anderes Medium transportiert zu sehen. Der Graphic Novel sei damit eine Chance gegeben.

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Dazu hört sich im Gedankenkontext phantastisch: Radiohead. Und ich wiederhole in diesem Zusammenhang gern:

„Darf ich mich einen Moment zu Dir setzen, Else, oder stör‘ ich Dich in Deinen Träumen?“ – „Warum in meinen Träumen? Vielleicht in meinen Wirklichkeiten.“

Fräulein Else bewegt, ganz gleich ob in Text oder in Bildern.

liest: Fräulein Else

Veröffentlicht: April 8, 2011 in Literatur
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„Darf ich mich einen Moment zu Dir setzen, Else, oder stör‘ ich Dich in Deinen Träumen?“

„Warum in meinen Träumen? Vielleicht in meinen Wirklichkeiten.“

Infantile Leselust

Veröffentlicht: Dezember 5, 2010 in Ausgelesen
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ausgelesen: Fables 01-04.

Alles begann mit Fables – „Legends in Exile“. Legends in exile Allein wäre ich niemals auf die Idee gekommen, mich Comics zu widmen, jenem Teufelszeug, welches ich mit jugendlichen Exfreunden verbinde, die ihr spärliches Geld lieber in Hochglanzausgaben steckten, die nur mit Samsthandschuhen aus der Plastikschutzhülle geholt werden durften, als ich den Benzintank. Mit Comics verband ich nichts Gutes.

Comics? Ich? Niemals. Dachte ich. Klar, so ein Lustiges Taschenbuch, dagegen habe ich nichts, ich besitze bloß keine, und wenn ich in einer Arztpraxis die Wahl habe, blätter ich auch lieber in der Mickey Mouse als im Stern.

-> kurzer Exkurs: Auf der Homepage des Lustigen Taschenbuches preist man ein Stipendium zum Studieren an. Ist das ein Hinweis auf die Lesergruppe?! Laufende Nummer 409 zeugt von einer angenehmen Kontinuität. Ich mag sowas.

Fables also, eine (wer weiss, wie ernst gemeinte) Empfehlung meines Scheinghettoianers, der ich gern nachging. Erst zögerlich nur den ersten Band erstehend, versehentlich auf Englisch und doch zumindest nicht abgeschreckt genug, weitere zu bestellen. Ein bisschen Bildung in englischer Umgangssprache schadet nicht, dachte ich mir und nahm den Preisvorteil gern entgegen.

Gerade im ersten Band musste ich an mir selbst beobachten, wie textfixiert ich lese. Gewohnheit. Die Bilder wurden – zu Unrecht- stiefmütterlich behandelt. Immer wieder war ich mir nicht sicher, ob ich die Handlung richtig erfasste, bis ich lernte, meine Augen auch auf das bildliche Verstehen zu lenken. Man muss sich daran gewöhnen. Die erste Begeisterung kam auf, als ich merkte, wie spannend manche Figuren meiner Kindheit im modernen Plot umgesetzt sind. „Snow White“ war meine erste Faszination. Wird beschuldigt mit 7 Zwergen geschlafen zu haben? Ass vom Apfel? Soso, es ist also das gleiche Wort im Englischen. Wie das wohl die Übersetzung gelöst hätte, diesen Doppelcharakter zu benennen?

Der zweite Band, „Animal Farm“, befasste sich mit aufständischen Schweinen (Schweinegeschichten waren schon als Kind nicht mein Interesse, ich spielte lieber mit den echten Tieren) und war für mich mitunter weniger spannend, auch wenn es mir immer wieder ein Schmunzeln entlockte, wenn ich am Bidrand mir durchaus bekannte Figuren traf. Kleine Figuren. Mäusepolizei oder Elfen, das kann Fables alles mischen.

Band 3 nennt sich „Story Book Love“ aber so schlimm, wie es anmutet, war es zum Glück nicht. Mehrere Geschichten bildeten wieder ein ganzes, und so langsam merkt man, welche Figuren die Handlung durch die einzelnen Bände tragen.

Band 4, „March od the Wooden Soldiers“, war mir von der Handlung her etwas zu „kämpferisch“, was aber dem Medium wohl angemessen ist. Ein vermeintliches Rotkäppchen (oder wer man Red Riding Hood sein?) entpuppt sich als Gretel, aber o spannender ist die Umsetzung Baba Yagas, die ich zugegeben erst einmal nachlesen musste. Im Fables die Vereinigung aller namemlosen Hexen. Nie zuvor habe ich daran gedacht, dass Hexen in Märchen nie Namen haben, aber… es mag stimmen.

Das Medium Comic wird meine Bücherleidenschaft vermutlich nicht ablösen, aber ich gebe zu, dass die mediale Umsetzung unterschiedlicher Märchen- oder Fabelwesen (genauso Leenden, Serien und Kinderhelden) aus verschiedensten Kulturkreisen extrem anregend ist. Nicht zuletzt eine Mischung aus kindlicher Nostalgie und postmoderner Handlung sorgen dafür, dass ich einmal mehr meine Vorurteile über „Bilderbücher“ etwas überarbeiten muss.

Nun frage ich mich, wie vielfältig die Fabelwelt sein kann, damit auch 50 Bände später genug Personen (Figuren) übrig bleiben? Einige sind bereits gestorben. Fables ist ein guter Test zu überprüfen, wie gut die kindliche Märchenbildung die Jahre überdauerte. Aber ob ich es weiter verfolge, weiss ich nicht. Für diesen kulturellen Umweg bin ich zumindest dankbar.