Mit ‘Krausser’ getaggte Beiträge

Nochmal Krausser, sein Neuster. Wenn mir ein Autor einmal gefällt, so bei „Eros“ und „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ geschehen, lese ich gern bei ihm weiter; an Neuerscheinungen komme ich kaum vorbei, auch wenn der Klappentext (s.u.) nur semispannend klingt.

„Die letzten schönen Tage“ war schnell gelesen, und trotzdem ein Buch, über das die Meinung sich im Leseverlauf veränderte. Als ich begann, dachte ich zunächst: typisch. Moderner Plot, Figuren mit Alltagsüberdruss, Beziehungen, die sich nichts mehr geben, Ausfluchten. Das Übliche eben. Wieder beginnen, so denkt man, einzelne Geschichten, deren Handlung mehr und mehr ineinander zahnt, bis sich, anders als im Vorgängerroman, herausstellt, dass es eine einzige,  episodenhaft festgehaltene Geschichte ist.

Es geht um Serge, einen Werbetexter, dessen Freundin und ihre Liebschaft, Serges Kollegen, des Kollegens neuerdings lesbische Mutter und ihre Freundin wie Reisepartnerin, eine zu pflegende Katze und den Versuch, das Leben in Deutschland unter Wahn und Krankheit auf einer warmen Insel weiterzuführen. Die Handlungen sind bei Krausser gar nicht überaus innovativ, aber was sie reizvoll macht, ist die Inszenierung der Form und der Alltagsspiegel. Ich kann mir gut vorstellen, dass Kraussers Romane Abziehbilder einer Zeit sind, die in seinen Worten konserviert sind. Zeitlos sind sie jedenfalls nicht.

Was erst langweilig begann, wurde mehr und mehr eine lesenswerte Geschichte, in der man für jede beteiligte Person den Buchtitel neu interpretierte. Leider wird es dadurch auch kein Buch der erinnerungswürdigen Oberklasse, aber für belletristische Unterhaltung ist es nach meinem Empfinden zumindest solide. Kann man machen..

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Klappentext: Serge Hanowski ist Mitte dreißig und Werbetexter in einer Berliner Agentur. Er ist manisch – mit einer Prise diabolischem Feuer. Eines Nachts wartet Serge auf die letzte Bahn nach Neukölln, als er auf den Gleisen ein Centstück liegen sieht. Er weiß sofort: Das ist mein Glückscent. Aber runterspringen? Die Vernunft siegt. Serges größter Wunsch ist es, endlich seine Freundin Kati zu heiraten. Was er nicht weiß: Kati hat ein Verhältnis mit seinem Arbeitskollegen David. Doch sie entscheidet sich für ihn und eine gemeinsame Auszeit auf Malta. Die beiden kommen bei den halbseidenen Angestellten eines Online-Poker-Servers unter, was ihr Leben nicht einfacher macht. Und auch auf der Insel wird Serge von Eifersucht getrieben. Er hackt sich in Katis E-Mail-Zugang ein und beginnt in ihr Leben einzugreifen. Kati kann nur ahnen, wozu Serge in der Lage ist. Tempo, Witz und die Fallstricke einer Dreiecksbeziehung machen Helmut Kraussers neuen Roman zu einer rasanten Tragikomödie um Liebe, Entsagung – und nahrungsverweigernde Kater.

Nachdem ich nun mit einiger Begeisterung das eine oder andere Buch von Helmut Krausser gelesen hatte, hielt ich es für angemessen, zu dessen Anfängen zurück zu gehen und zu schauen, was ihn bekannt(er) gemacht hat.

Es erging mir wie so oft, wenn ich Großes erwarte. Obszön wird es beschrieben, vulgär, das erste Kapitel titelt irgend etwas von „Kampfmösen“. Na, meinetwegen. Möglich, dass ich 1992 ziemlich geschockt gewesen wäre, leider berührt mich heute die Geschichte des Obdachlosen mit dem sprechenden Namen Hagen Trinker gar nicht mehr. München, wo die meiste Handlung spielt, ist mir nicht bekannt, ich kann mir vorstellen, dass es interessant wäre, den Protagonisten durch vertraute Milieus zu begleiten.

Eigentlich klingt alles ganz gut: es geht um Hagen, der sich in eine Ausreißerin verliebt, es geht um deren Umfeld, einen minderjährigen Jungen mit Idealen und viel Loslösung von Konventionen.

Trotzdem habe ich mehr erwartet und „Fette Welt“ schaffte es nicht über den Status eines Frühstücksbuches  hinaus. Jeden Tag ein paar Seiten lesen, schamlos Nutellaflecken auf Seiten schmutziger Deflorationsbeschreibungen verteilen und mangelnde Spannung erfahren, die nicht motivierte, das Buch vom Küchentisch zu entfernen.

Manchmal war es vielleicht ein wenig ekelig, manchmal übte es ein bisschen Kritik und manchmal berührte es Fragen der Menschheit: aber nichts davon sickerte wirklich zu mir durch, blieb alles nur fader Beigeschmack. Vielleicht lohnt es, sich Jürgen Vogel als Hagen Trinker anzusehen, statt sein Geplapper zu lesen.

Einsamkeit und Sex und Mitleid.

Einsamkeit.Und.Sex.Und.Mitleid. Völlig klar und ähnlich deutlich wie:  „Ich geb Dir 100 Euro, wenn ich Dich lecken darf.“ So ist Krausser in diesem Werk, klar, deutlich, fordernd und schonungslos deskriptiv.

Mal ganz ehrlich, allein der Titel des Buches hat es verdient, gekauft zu werden und ganz sicher geschah die Kaufentscheidung nicht zuletzt deswegen. Krausser ist mir in „Eros“ in Erscheinung getreten und hat mittels der „Schmerznovelle“ meine Aufmerksamkeit erfahren, so dass es wenig Überwindung kostete, diesen Roman in die Hand zu nehmen. „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ erzählt viele Geschichten unterschiedlicher Figuren in Berlin, die alle auf ihre Art allzu bekannt sind. Kneipenbedienungen und Trinker, Jugendliche, Migranten, Callboys,  Frauen in der Midlifecrisis – der klassische Querschnitt der gesellschaftsnahen Randgruppen mit kleinen aber doch nicht existenzbedrohenden Problemen.

Jede Geschichte beginnt für sich, bis es im Verlauf des Romans immer mehr Berührungspunkte der Akteure gibt, man trifft sich, zufällig oder auch nicht, interagiert, oder auch nicht. Ein bisschen erinnerte die Struktur mich an Kehlmanns Ruhm, nur sind die Berührungspunkte häufiger, die Geschichten anders und der Handlungsort ausschließlich Berlin (möglch, dass der Berliner sich daran sehr erfreuen kann, mir scheinen die zuordnungen nicht beliebig).

Was das Buch lesenswert macht, ist die Natürlichkeit der Macken und Manien der Protagonisten, die alle ein bisschen „durch“ sind, aber eben lebensfähig durch.  Versprechen werden gemacht, manche sogar eingehalten. Wenn man schreibt, dass es um Beziehungsprobleme, Sex, Alkohol, Freundschaft und Liebeskummer geht, klingt das zu banal um dem lockeren aber nicht läppischen Inhalt gerecht zu werden. Es ist ein bisschen rührend, ein bisschen komisch und ein wenig spiegelnd.

Ach, ich mochte es. Punkt.

Schon nach wenigen Seiten, ja gar Zeilen, war meine Lesulust für Krausser wieder entfacht. „Schmerznovelle“ trägt nicht nur einen vielversprechenden, klingenden Titel, erinnert in Länge und Form an Stefan Zweig, sondern beginnt auch banal faszinierend mit der Einführung des Protagonisten, eines Psychologen, der auf Einladung hin bei seinem ehemaligen Doktorvater zu Besuch weilt.

Es stellt sich heraus, dass der Besuch zum einen Begegnungen mit des Professors Frau, einer ehemaligen Mitstudentin, zu heiklen Dilemmata führt und zum anderen der Besuch dem Zweck dient, einem (zumeist weiblichen) Forschungsobjekt, bei dem der Altmeister nicht recht weiterkam, dem Jungen als Spielwiese überlassen wurde.

Zwischen Wahn und Sinn, zwischen Schmerz und Einfühlung braust die Novelle nur so dahin, die psychologischen Muster wecken große Erwartungen, aber leider, leider bleibt dieser Spannungsbogen nicht gespannt, es fällt sachte ab zum Ende und die Katastrophe wirkt kaum mehr auf den Leser. Möglicherweise gewollt, aber ich wünschte es mir brechender. Lauter. Mit mehr Schmerz.

Nichts desto weniger (das erinnert mich immer noch, fast sechs Jahre nach dem Auswendiglernen, an Brechts Lehrstück) ein nettes Stück Literatur, ein feines Häppchen was den Hunger auf mehr Krausser’sche Abwunderlichkeiten weckt!