Mit ‘Literatur’ getaggte Beiträge

[Mentizid versucht (sich) zu bilden.]

Auf der Suche nach Spuren von Religion ist dieses dünne Büchlein mir vor allem durch den beschriebenen unaufdringlichen und mitunter gar nicht so  charmanten  Arbeitercharme des Ruhrpotts (man kann ruhig Pott sagen, denn es ist, als wühlt alles in einem großen Pott)  in Erinnerung geblieben. Es dauerte die halbe Geschichte, bis ich es zeitlich einordnen konnte, erst dann, mit diesem Wissen, liess ich mich auf die Geschichte ein, in der aus Perspektive eines 12jährigen berichtet wird, wie Mitewohnung, Arbeit unter Tage, minderjährige Verführungen und deren Konsequenzen, Familienalltag, Essen (wer isst schon noch Graupen? Herrlich!) und Kinderspiel zu einem Ganzen finden. Naiv und doch reflektiert.

Ein kurzes Büchlein (etwa 240 S.), daher auch einen Blick wert, wenngleich es ohne rasende Höhepunkte auskommen muss.

Ich las es, um zu erkennen, wie die kindliche Sozialisation natürlich im Katholizismus geschieht, obgleich der atheistischen Elterngeneration mit ganz anderen, sehr pragmatischen Sorgen – und das ist sehr bildhaft beschrieben – und natürlich nicht das Hauptthema im Roman.

Man weiss nicht so recht, warum man dieses Buch lesen sollte. Man weiss aber auch nicht, warum nicht.

Einige Monate lang habe ich nun zahllose Blog gelesen, abonniert und doch wieder aus meinem Reader geworfen. Zumeist ging es mir mit Literatur-Blogs, sogenannten, eher selbsternannten, so. Ich glaube, ich verstehe dieses Medium einfach nicht, in dem sich überwiegend Frauen zu tummeln scheinen, die ihren Schreibstil seit dem Lesen von Jugendzeitschriften kaum verändert habe und damit so spannend zu lesen sind wie Strickanleitungen. Immer das selbe Prinzip. Ein Zitat, der Klappentext und zwei  Sätze „eigene Meinung“.

Freitags-Füller oder Wochenrückblicke tauchen überall auf, gern auch mal Hinweise zur Wohnungsdekoration oder Kochrezepten. Gewinnspiele für gebrauchte oder ungeliebte Bücher, Wichteleien und andere Wunschzettelschenkereien, die ich sonst nur aus Foren kenne, haben längst Einzug gehalten. Will ich das lesen? Nein. Um es nochmal deutlich zu sagen, ich habe nichts gegen Hobbyschreiberlinge unterschiedlichster Facetten; ich bin nur enttäuscht über selbst bezeichnete (oder: selbstüberschätzte) Literaturkritikblogs (nochmal langsam: Literatur + Kritik + Blog!), die kaum mehr als eine Sternchenverteilung zu Stande bringen, wo selbst eigene Leseeindrücke viel spannender wären. Wenn ich dann meinen Feedreader öffne und mich über neue Einträge freue, bin ich doch nur enttäuscht, stellen sie sich als Erinnerungen zum Osterwichteln oder zum Weihnachtsbasteln heraus, alles natürlich ein Quartal vorm Termin, um noch einige Male erinnern zu können.

Eigentlich finde ich es undramatisch, gemischte Inhalte vorzufinden, wenn ich nicht diese immer wiederkehrenden Muster vorfände, die mich leider nicht interessieren. „Wie hat es euch gefallen?“, „Erzählt mir, was ihr davon denkt!“ oder „Eure Meinung interessiert mich.“ zieht bei mir kaum noch als ehrliche Aufforderung, sondern vielmehr als Kommentarhascherei. Doch was will ich mit Kommentaren von Menschen, die nichts zu sagen haben? Dass die Nichtszusagenhaber trotzdem posten wundert nicht, denn jeder Kommentar ist die potenzielle Möglichkeit neuer Klicks und Klicker auf dem eigenen Blog. Schiebt man sich die Leser also nur untereinander zu? Anscheinend, denn alle haben gar nicht so schlechte Zufriffszahlen und eine Reihe Links in ihrem Blogroll.

Ich verstehe es nicht. Es gab nur wenige, eine handvoll vielleicht, für mich guter Blogs, sprich Blogs, die mich zu Kaufentscheidungen brachten oder von eben jenen abhielten oder zumindest dafür sorgten, dass ich etwas herumklickte und mich über einen Autoren informieren wollte. Denen und ihrer filigranen Arbeit danke ich, vor allem dafür, dass sie den Leser an (subjektiven) aber nachvollziehbaren Meinungen und Erfahrungen teilhaben lassen. Das hilft mir am meisten. Über Empfehlungen zu solchen Seiten bin ich stets erfreut.

Eine Geschichte über die Liebe zweier Schriftsteller, die selbst ein großer Wortkünstler zu Papier bringt. Noch sind sie sich nicht begegnet, der junge Dichter in den frühen Zwanzigern hat aber, auch wenn es nicht ewig anhält, etwas faszinierendes gefunden: eine Muse. Und mit ihr schreibt Jan Arnald in „Maria und Artur – Roman einer Schriftstellerliebe“ wunderbare Sätze über Arthur, der erste Erfolge in Paris (ganz ohne Klischees) auszukosten versucht, wo er Besuch einer Dame empfängt, zu der der innige Kontakt bisweilen zumeist schriftlicher Natur war.

„Für Stina/Mimi/Sara [alles Kosenamen der gleichen Person] sind die Tage aus einem anderen Stoff als aus Zeit gemacht. Nichts ist wirklich. Sie ist auf der Flucht vor ihrem Ehemann, dem Oberarzt, und vor ihrem bürgerlichen norrländischen Leben. Sie stirbt in diesem Leben, sie ertrinkt in kleinen Unerträglichkeiten, Gesellschaftsmikroben, diesem System, das >>zu Hause<< heißt. Doch jetzt ist sie auf der Flucht, eher als auf der Jagd, und sie ist sich selbst eine völlig Fremde.

Ihm geht es nicht anders. Sie sind Wortmenschen, und beide pendeln zwischen der hochintelletuellen Betrachtung und der impulsiven Gefühlswallung. Das Problem ist, dass ihre Pendel niemals im selben Takt zueinander finden. Sie schwingen aneinander vorbei.“

„Das Wortlose ist ein eitler Traum.  Im Traum erbauen sie ein kleines Universum, das sich von dem anderen unterscheidet, dem gewöhnlichen. Seine Hände sprechen, ihr Empfangen ist ihre Rede.

Sie haben im Park nie ein gesprochenes Wort gehört. Nicht einmal der Parkwächter spricht, der um elf Uhr kommt und Illusion um Illusion zerstört und Seele um Seele zurück wirft in die herbe Wirklichkeit.“

Einsamkeit und Sex und Mitleid.

Einsamkeit.Und.Sex.Und.Mitleid. Völlig klar und ähnlich deutlich wie:  „Ich geb Dir 100 Euro, wenn ich Dich lecken darf.“ So ist Krausser in diesem Werk, klar, deutlich, fordernd und schonungslos deskriptiv.

Mal ganz ehrlich, allein der Titel des Buches hat es verdient, gekauft zu werden und ganz sicher geschah die Kaufentscheidung nicht zuletzt deswegen. Krausser ist mir in „Eros“ in Erscheinung getreten und hat mittels der „Schmerznovelle“ meine Aufmerksamkeit erfahren, so dass es wenig Überwindung kostete, diesen Roman in die Hand zu nehmen. „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ erzählt viele Geschichten unterschiedlicher Figuren in Berlin, die alle auf ihre Art allzu bekannt sind. Kneipenbedienungen und Trinker, Jugendliche, Migranten, Callboys,  Frauen in der Midlifecrisis – der klassische Querschnitt der gesellschaftsnahen Randgruppen mit kleinen aber doch nicht existenzbedrohenden Problemen.

Jede Geschichte beginnt für sich, bis es im Verlauf des Romans immer mehr Berührungspunkte der Akteure gibt, man trifft sich, zufällig oder auch nicht, interagiert, oder auch nicht. Ein bisschen erinnerte die Struktur mich an Kehlmanns Ruhm, nur sind die Berührungspunkte häufiger, die Geschichten anders und der Handlungsort ausschließlich Berlin (möglch, dass der Berliner sich daran sehr erfreuen kann, mir scheinen die zuordnungen nicht beliebig).

Was das Buch lesenswert macht, ist die Natürlichkeit der Macken und Manien der Protagonisten, die alle ein bisschen „durch“ sind, aber eben lebensfähig durch.  Versprechen werden gemacht, manche sogar eingehalten. Wenn man schreibt, dass es um Beziehungsprobleme, Sex, Alkohol, Freundschaft und Liebeskummer geht, klingt das zu banal um dem lockeren aber nicht läppischen Inhalt gerecht zu werden. Es ist ein bisschen rührend, ein bisschen komisch und ein wenig spiegelnd.

Ach, ich mochte es. Punkt.

In Anbetracht dessen, dass Thomas Glavinic Gast in der Stadt sein wird und unter der Selbsterkenntnis, dass ich es nicht ertrage, wenn meine Gesellschaft mehr gelesen hat als ich, stand ich – fast zufällig- am Wochenende vor Glavinics neustem Roman und dachte: Joa… – kaufste!

Auf dem Klappentext etwas von Whiskey und Koks, brutalen Morgen und einem verschanzten Typen, der sich einer virtuellen Internetgemeinde offenbart. Klingt exakt so, als müsste ich es dringend lesen. Das tat ich dann auch, nicht ohne mich an eine gute Kritik zu erinnern, die davon sprach, ein Meisterwerk Glavinics gefunden zu haben, ganz in der guten Tradition aktueller Momentaufnahmen, kritisch, zynisch, lustig.

Tja, all das vermisste ich etwas auf den kurzen 200 Seiten, die „Tom“ die Hörer zuquatscht. Immer wartend auf die Steigerung, auf ein Ende mit Grund oder zumindest eine Auflösung der enormen Gewaltandeutungen und Lisas Rätselhaftigkeit. Nix.

Vielleicht verstehe ich in den kurzen Absätzen unformatierter, ungehobelter Sprechsprache die Genialität des Autors einfach nicht zwischen all den Banalitäten. Vielleicht bin ich zwischen Flutopfern und Verstrahlten auch nicht mehr empfänglich für subtilste Gesellschaftskritik und kleine Anekdoten, aber so wie ich dieses Buch las, war es leider schlichtweg überflüssig. 17,90 Euro dafür, dass ich Monologe eines zugekoksten Trinkers höre (lese!), dessen Abgedrehtheit nicht genügt, um spannend zu sein.

Ein letzter Funken Hoffnung bleibt, dass der Zugang vorgelesen ein anderer ist, denn im Prinzip ist es eine gedruckte Dauerradiosendung. Gedruckt bewirkt es in mir genaugenommen gar nichts.

Schade, Herr Glavinic, aber ich werde Sie trotzdem anhören kommen.

Sehr treffend hat der Protagonist es auf den Punkt gebracht: „Das hört sich alles wieder so misanthropisch an. Ich bin keiner, ich bin kein Misantroph. Ich bin nur ein Leidender am Gesamtzustand der individuellen Unerträglichkeit.“

Schon nach wenigen Seiten, ja gar Zeilen, war meine Lesulust für Krausser wieder entfacht. „Schmerznovelle“ trägt nicht nur einen vielversprechenden, klingenden Titel, erinnert in Länge und Form an Stefan Zweig, sondern beginnt auch banal faszinierend mit der Einführung des Protagonisten, eines Psychologen, der auf Einladung hin bei seinem ehemaligen Doktorvater zu Besuch weilt.

Es stellt sich heraus, dass der Besuch zum einen Begegnungen mit des Professors Frau, einer ehemaligen Mitstudentin, zu heiklen Dilemmata führt und zum anderen der Besuch dem Zweck dient, einem (zumeist weiblichen) Forschungsobjekt, bei dem der Altmeister nicht recht weiterkam, dem Jungen als Spielwiese überlassen wurde.

Zwischen Wahn und Sinn, zwischen Schmerz und Einfühlung braust die Novelle nur so dahin, die psychologischen Muster wecken große Erwartungen, aber leider, leider bleibt dieser Spannungsbogen nicht gespannt, es fällt sachte ab zum Ende und die Katastrophe wirkt kaum mehr auf den Leser. Möglicherweise gewollt, aber ich wünschte es mir brechender. Lauter. Mit mehr Schmerz.

Nichts desto weniger (das erinnert mich immer noch, fast sechs Jahre nach dem Auswendiglernen, an Brechts Lehrstück) ein nettes Stück Literatur, ein feines Häppchen was den Hunger auf mehr Krausser’sche Abwunderlichkeiten weckt!

Daniel Kehlmanns „Ruhm“ lockt mit einem Titel, der nicht in engster Verbindung zum Buche steht. Ein Roman mag es sein, doch der Untertitel „9 Geschichten“ trifft es besser, denn das romantypische Verhalten mehr oder minder stringenter Handlung bleibt verlustig. Auch die Länge – oder besser gesagt Kürze  – von 200 Seiten lädt vornehmlich zum kurzweiligen Verweilen ein. Jede einzelne Geschichte ist gut und gern, angenehm fürwahr, in der Bahn oder beim Frühstück konsumierbar.

Die neun Geschichten sind einzeln lesbar und hängen doch dann (gar ständig? unaufdringlich zudem) und wann ein wenig zusammen. Mal am seidenen Faden, mal durch gemeinsame Nebenfiguren, aber manchmal eben auch durch das wiederholte Erscheinen ganz zentraler Figuren. Dem fehlt eine kleine Prise Phantasie und gekonnt aufgedeckte Konstruktion nicht.

„Ruhm“ lässt sich schwer in Worte fassen, obgleich jede der neun Geschichten problemlos und für sich nacherzählbar wäre. Der Reiz des Büchleins liegt allerdings dazwischen, im Ungesagten, im Vergleich der Figuren zwischen den Geschichten. Der Aspekt der Romankonstruktion ist brilliant gelöst zu Gunsten der Lesefreude des Lesers, der immer wieder in den Genuss kommt, Versatzstücke zu erkennen – als sei er der Künstler und nicht der Autor.

Ein perfektes Büchlein für Zwischendurch. Ganz sicher kein Epochenwerk, aber ein junger, erfrischender Versuch der etwas anderen Erzählweise. Uneingeschränkt empfehlbar, denn es hat mir viel Freude bereitet. Themen um Technik, Handy und Computer ergänzen sich mit Liebelei, Angst, Einsamkeit – Modernes und Zeitloses finden zusammen.

Daniel Kehlmann

Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten.

Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2009

Lesend: Murakamis 1Q84, zum Zweiten

Veröffentlicht: Januar 16, 2011 in Literatur
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Nun, dass ich schon beim Lesen eines Buches etwas dazu sagen möchte, geschieht selten. 1000 Seiten sind zwar 1000 Seiten und Murakamis Sprache gewohnt einfach, aber das Lesen dauert länger als ich erwartet hatte. Möglich, dass es an der Erkältung liegt, in deren Schlafpausen ich lese, aber eigentlich ist es mir sehr recht, so habe ich länger etwas davon. 550 Seiten verbleiben mir noch, es ist also bald die Hälfte erreicht.

Vor einigen Seiten (oder Lesestunden) erreichte ich endlich die Stelle, auf die ich gewartet hatte: Ich erkannte, dass die nebeneinander her laufenden, sich abwechselnden Erzählstränge überschneiden und näher kommen. Ehrlich gesagt wäre ich herbe enttäuscht gewesen, wäre dem nicht so gewesen.

Dadurch wächst allerdings die Angst, dass Murakami, wie so oft, seinen Roman nicht nach meinem Geschmack enden lässt, aber bevor ich mir davon das Lesen verderben lasse, stürze ich mich in die nächsten Seiten. Die Hoffnung auf Teil III kann ja vorerst einiges ausgleichen.

Mir gefallen die beiden Hauptcharaktere der Erzählstänge sehr gut, auch wenn in dem einen die Tendenz vom abgebrühten Vamp zu feministischem Gerechtigkeitssinn zunimmt. Eine phantastische Tendenz lässt sich erahnen, stört mich aber glücklicherweise nicht. Was macht es schon, ob man einen, oder zwei Monde sieht?Ein bisschen Politik, ein bisschen Religion – zumindest dem Anschein nach. Sicher weiss man es bei Murakami ja doch nie.

Noch durchaus lesenswert und mit einer Spannung zu verfolgen, wie es weitergeht. Auf S. 409 entdeckte ich endlich die Zeile, von der ich längst ahnte, dass ich sie in diesem Roman würde entdecken:

„Die Zukunft ist für uns alle ein unbekanntes Terrain, von dem es keine Landkarte gibt. Was uns hinter der nächsten Ecke erwartet, wissen wir erst, wenn wir abgebogen sind.“

Mich stört bereits jetzt, eine volle Woche vor mir zu haben und damit nur portionierte Lesezeit.

Ein klassischer Optikkauf, der den ersten Satz des Klappentextes unterstützt:

„Es mag Zufall sein, dass gerade Du dieses Buch in den Händen hältst.“

Von McFadyen hatte ich nie etwas gehört geschweige denn gelesen. Nun habe ich es gemacht und weiss, dass ich es nicht unbedingt wieder tun muss, jedenfalls nicht, falls es um die Ermittlerin „Smoky“ eine Reihe gibt. Knapp 450 Seiten lasen sich zwar schnell und halbwegs spannend (für einen Thriller eher zu wenig spannend), aber ich glaube, ich habe langsam genug religiösen Fanatismus als Aufhänger gelesen. Das Thema ist eigentlich gar nicht mal so übel, wenn auch z.T. abgedroschen, aber es weckt ein Paar Fragen ob Wahrheit bedingungslos gut sein kann und ob Schuld wandelbar oder sühnbar ist etwa.

Missfallen hat mir die Hauptperson der Ermittler, deren tragische Vergangenheit allem ihren Persönlichkeitsstempel aufsetzen sollte. Eine starke, entstellte Frau, die nun ihre beruflichen Erfolge feiert, eben weil sie dem Mord von Mann und Tochter beiwohnte, daraus lernte und statt zu  zerbrechen an sich wächst. Blabla.  Einzig die daraus resultierende Liebesgeschichte, die jedes solcher Bücher hat, war angemessen in ihrer Darstellung – sehr nüchtern. Mir leuchtet auch nicht ganz ein, warum nach durchackerten Nächten kurze Ruhepause konsequent von allen Ermittlern zum Sex genutzt werden, aber bitte… wenn Ermittlersmalltalk so aussieht (passiert ist für den Leser nämlich nichts).

Letztendlich geht es um Erlösung und Sünden. Und wie alle Opfer im Buch möchte ich beichten: Meine Sünde war uninformiert dieses Buch zu kaufen, aber nun bin ich davon erlöst.

Fazit: Mittelmaß – höchstens. Da hilft auch die Gestaltung des aufklappbaren, innen blutigen Covers nicht.

Hello Kitty muss sterben

Oder: Die, die Kitty!

Soviel scheint klar. Die Bibliophilin hat kürzlich das Buch „Hello Kitty muss sterben“ rezensiert. Von dem Buch hatte ich bereits gehört, aber allein die Tatsache, dass der Einband im pro-Kitty-Stil rosa ist, hat mich bitter daran gehindert, diesem Buch eine Chance zu geben (da ist er wieder, dieser furchtbare Optikfanatismus). Der Bibliophilin Rezension ist allerdings eher motivierend denn verschreckend. Vielleicht gebe ich dem Buch eine Chance, die Entscheidung steht zum Glück nicht jetzt an.

Darum geht es jetzt auch gar nicht, bevor ich den Inhalt kenne, denke ich nämlich bereits an zahllose Möglichkeiten, wie man die Katze töten kann oder zumindest dazu verbannen nichts zu tun als ihren Zweck zu erfüllen: Kleine Mädchen glücklich zu machen. Darum kam mir auch als ich die Rezension las ein Shoppingerfolg in den Sinn,  den ich in der (nicht ganz frischen) Vergangenheit in Stockholm getätigt haben muss.

Ein bisschen frage ich mich nun, ob das jener Stockholmbesuch war, den ich offensichtlich zwischenzeitlich in meinen Erinnerungen gelöscht hatte (wenn ja, ist er nun wieder da, wenn nein, ist es doppelt peinlich).

Der Galgen

Die Katze gehört gehängt.

Allerdings ist auch das völlig irrelevant, denn alles was ich tun möchte, ist der Bitte der Bibliophilin nachzukommen und ihr zeigen, wie begeistert ich schon vor vielen Jahren davon war, das kleine Kätzchen zu killen! Ich schätze, das war das erste und letzte Mal, dass es auf dieser Seite etwas in rosa zu sehen gab! Man kann rot und rosa einfach nicht würdevoll zusammenbringen.

Wenn man einen Krimi liest und er zu Ende ist, ist man vielleicht kurz enttäuscht, dass die sich durch das Buch ziehende Spannung (sofern es ein guter Krimi war) nun ein Ende gefunden hat. Man bedauert es und schaut sich nach einem neuen Schmöker um, der einem das gleiche bietet: kurzweilige Unterhaltung. Manchmal erinnere ich mich zu Ende eines solchen Buches nur noch schwer an den Anfang, so schnell fliegen die Seiten dahin, deren Inhalt von geringem Belang ist. Solche Bücher sind mir das Fernsehen.

Ab und an ist es aber gut zu erkennen, dass es auch andere Schriften gibt. Yann Martels „Ein Hemd des 20. Jahrhunderts“ ist so ein Buch, welches sich meiner Meinung nach vor allem dadurch auszeichnet, dass es nie berechenbar ist- stets überrascht der Fortgang der Handlung eigene Erwartungen. Es ist fast egal, dass der Kreis der Themen sich am Ende schiesst, denn so wie ein Hemd ein beliebiges Land ist, dem die Begleiter von Hölle und Paradies Leben einhauchen, so hat der lesende Kopf sich schon unzählige Assoziationen geformt, die die Sprachlosigkeit in Bilder fassen. Eine komplex konstruierte Geschichte verschiedener literarischer Formen wird zu einem lesenswerten Genuss, sofern man eine so verstörende Thematik (eine Thematik gibt es genaugenommen auch nicht) als solchen bezeichnen darf. Es ist mit Vorsicht zu betiteln.

Zwischen Schuld, Moral und Stille, Stillstand und Fortgang formt sich ein Stück Literatur, welches ich vergleichbar noch nicht kannte. Schön, dass es den Weg zu mir fand und man mir diese Erfahrung schenkte.

Neben dem Lesen und über Umwege, führte dieses Buch dazu, dass ich in Dante blätterte und endlich wieder Gelegenheit bekam, in meiner wundervollen Ausgabe, die zudem die mir liebste Übersetzung ist, zu lesen. Ausserdem beschloss ich, dass neben meiner schmucken Ausgabe der Aeneis eine handliche Arbeitsversion Vergils im Regal benötigt wird. Das Antiquariat war mein Freund. Gustave Flaubert habe ich, oh Schande, nie gelesen. Natürlich war es unerlässlich die bei Martel erwähnte Novelle zu erstehen um zu sehen, was Julian zu einem erbarmungslosen Jäger machte. Ist man schon dabei, folgt man auch den Hinweisen, dass man sich Madame Bovary nicht verschliessen kann.

Hat man ein solches Buch zu Ende gelesen, stellt sich eine innere Leere ein. Soviel Anschlusslektüre sich nun auch anbietet, die Gedanken kreisen, ganz anders als beim Krimi, noch eine Weile in der Geschichte. Man kann nun nicht zur nächstbesten Sofalektüre greifen, denn obwohl das Hemd des 20. Jahrhunderts höchst fiktive Elemente beinhaltet, vermochte es zu berühren, zu verstören, zu beklemmen, was kein Thriller ihm nachahmt, weil man erkennt und doch nicht versteht.

Was kann man also bedenkenlos nach einer solchen Lektüre in die Hand nehmen?

Den Prinzen von Theben. Else Lasker-Schüler war mir bei meiner grenzenlosen faszination von Gottfried Benn schon häufiger begegnet und sind mir ihre tiefen religiösen Empfindungen oft fremd, so ist ihre Sprache doch allzuoft bewundernswert.

Else Lasker-Schüler ca. 1890

Image via Wikipedia

Ihr zweiter Mann, Georg Lewin, war mir bisher nur flüchtig ob seiner Herausgeberschaft bekannt, aber „Mein Herz“ hat ihn mir etwas näher gebracht. Die kurze Zeit ihres Zusammenseins ist in diesem Büchlein dokumentiert in öffentlichen Briefen, die im „Sturm“ Veröffentlichung fanden. Sie sind so wunderbar, wie offen sie die Sehnsüchte jener Frau beschreiben, die nicht immer ein Abbild weiblicher Sinnlichkeit ist. Eine Frau, die ohne Schmach und Schande ihren Mann, der in Norwegen weilt, ununterbrochen darüber auf dem Laufenden hält, wann sie sich in wen verliebt – weil es sich genauso zuträgt. Eine Frau, die beschreibt, wie verliebt eine einzelne Begegnung machen kann und wie schnell die Entliebung geschieht, wenn die gewünschte Aufmerksamkeit ausbleibt. Warum wird solches sonst kaum ausgesprochen? Der Prinz von Theben kann täglich lieben, vernichtend, kindlich oder hingebungsvoll, aber nie ohne Eigennutz. Briefe, die die Berliner Boheme karikieren, die ihr sicherlich viele Feinde eingebracht haben und die  mir zeigen, wie zusammenhängend die Künstler, vor allem die Literaten des Expressionismus ihr Dasein fristeten. Zwischen Dekadenz und Armut finden sich sprachliche Spitzen und Herabwürdigungen die ein kompaktes Bild der Caféhausgesellschaft zeichnen, die ich mir so oft zu beobachten können wünsche. Ob ich mich nun mit dem Sturm beschäftige um schlussendlich doch wieder den schwer eingängigen Worten meines Prinz Jussuf zu landen?

Immerhin ist die Bereicherung nach schwieriger Kost ungemein größer, als nach belangloser Berieselung.